England gilt zwar als Geburtsland von Fish & Chips und einem Frühstück, das nur so von Würsten und Eiern in diversen Aggregatszuständen wimmelt; dennoch ist das pflanzenbasierte Angebot in den letzten Jahren in den Metropolen Englands stetig gewachsen. Als Aushängeschild gilt die Hauptstadt London, welche mittlerweile eine riesige Fülle an vegan(-freundlichen) Restaurants und Cafés aufweist. In diesem Blog-Beitrag möchte ich euch deshalb mitnehmen auf eine kulinarische Reise durch das vegane London.
Zwei Enttäuschungen gleich vorweg.
Erstens.
Das von mir im Vorfeld geplante vegane Abendessen in London fand leider beim englischen Publikum überhaupt keinen Anklang. Zwar gab es bei der Event-Seite auf Facebook zahlreiche „Interessierte“ (34, um genau zu sein), aber offenbar scheuten sich alle, definitiv zuzusagen. ‘Lack of commitment’ könnte man das wohl nennen. Etwas, was man ja nicht nur bei Veranstaltungen beobachten kann, sondern auch hinsichtlich Beziehungen („Ist diese Person wirklich DIE Richtige? Oder kommt später womöglich noch eine RICHTIGERE?!“).
Aber ich bin optimistisch, dass ich diese sozial-aktivistische Mission, welche ich mir beim Interview mit Sebu auferlegt habe (siehe Interview), bei den nächsten Reisen schon noch durchführen kann (Hoffnungen stecke ich vor allem in unseren geselligeren Nachbarn Deutschland).
Zweitens.
Und drittens, viertens und fünftens.
Die Zugreise.
Vorbildlich wie ich sein wollte, kam für mich ein Flug nach London nicht in Frage, da selbst das Kernkraft-Strom-dominierte Zugnetz in Frankreich punkto ökologischer Aspekte immer noch besser abschneidet als das Fliegen (siehe dazu auch den Blog-Artikel „Flugentzug“).
Aber die Torturen. Die fürchterlichen Torturen.
Also zunächst mal gab es den Zug nicht, für welchen wir den ersten Streckenabschnitt „Basel – Strassburg“ gebucht haben. Offenbar wurde auf dieser Zugstrecke gerade gebaut und die SNCF (jaja, ich weiss, ich war Zug-technisch fremd gegangen…) informierte uns natürlich nicht, so dass wir einfach auf einen Zug warteten, der gar nicht aufgelistet war. Also ging es schnell an den SBB-Schalter (da kommt er also zurückgekrochen von seinem französischen Flirt…).
Wobei so schnell ging es dann doch nicht.
Im Gegenteil. Wir mussten fast eine halbe Stunde warten, was mich dazu veranlasste, mich nach 20 Minuten lauthals (und zugegebenermassen ziemlich unnötigerweise) beim Personal über die spärlich besetzten Schalter zu beschweren.
Irgendwann ging es dann doch vorwärts und nach weiteren 20 Minuten wurden uns neue Tickets ausgestellt. Oder zumindest wurde eine erklärende Information in schlecht geschriebenem Französisch mitgegeben. Die Tickets müssten wir dann in Paris noch neu ausstellen lassen, erläuterte man uns mit einer leicht beschämten Mimik.
Also nochmals warten auf den neuen Zug.
Es folgten verwirrte Gesichter von Zug-Kontrolleuren, ein mühsamer und chaotischer Bahnhof-Wechsel von Paris Gare de Lyon nach Paris Gare du Nord (jede*r Servicemitarbeitende*r sagte uns etwas anderes, wie wir dorthin gelangen würden). Dann ein ewig-langes Check-In mit mehreren Pass- und Gepäckkontrollen und kurzfristigen Ticket-Umtausch-Aktionen (da der neue Zug fast ausgebucht war, mussten wir sogar in zwei verschiedenen Waggons sitzen).
Jedenfalls erreichten wir ein paar Stunden später irgendwann doch noch London und das Airbnb-Appartement in Mornington Crescent.
(Weitere Exkurse über die hygienischen Zustände dort erspare ich euch jetzt einfach mal. Vielleicht werde ich mir ja mal ein edleres Hotel leisten können, wenn Veganaut als börsennotiertes Unternehmen unzählige Millionen wert sein wird… ;-))
Bild 1: Ticket-Chaos – und das nur für die Hinreise!
Erste Veganaut-Station war das Mildreds Camden. Ein szeniges, angesagtes Restaurant für das jüngere Publikum, welches jedoch auch eine leicht experimentelle Küche anbietet (also nicht bloss der übliche Fast-Food für das mittellose Studi-Publikum). Mein veganer Ale Pie mit Minze-Erbse-Füllung und Buchenholz-geräucherten Pilze (siehe Bild 2) war zwar etwas harmlos und hatte einen leicht penetranten Beigeschmack, aber immerhin war der „Soul Bowl Salad“ meiner Begleitung richtig lecker! Für Dessert reichte es an diesem Abend noch nicht, weil es schon nach neun Uhr abends war, als wir das Restaurant betraten und eine Völlerei so spät am Abend nicht gerade förderlich für das Wohlbefinden des Magens gewesen wäre.
Bild 2: Vielleicht doch etwas zu deftig für einen Restaurant-Besuch spät abends…
Am nächsten Morgen ging es dann weiter mit einem faden und langweiligen Mandelmilch Porridge bei der Take-Away-Restaurantkette Pure, wo ich trotz kulinarisch ernüchternder Erfahrung immerhin den ersten meiner zahlreichen Veganaut-Sticker bei der Türe im Eingangsbereich anbringen konnte. Denn deshalb war ich ja auch da: Um Veganaut-Werbung zu machen und ein möglichst dichtes Veganaut-Netz auf der Karte eintragen und aufbauen zu können.
Später suchten wir dann das Vx (Vegan Cross) auf, wo man scheinbar auch viele vegane Kleidung sowie Schuhe kaufen konnte. Leider wurden wir dort auch wieder enttäuscht, da es im kleinen Lädeli zwar einige süsse Snacks und pflanzliche Ersatzprodukte gab, aber praktisch keine Modeartikel.
Bild 3: Im Vx gab es leider nicht so viel zu sehen wie erhofft, deshalb wurde – ihr könnt es erahnen 😉 – halt wieder gestickert.
Für Letzteres empfiehlt sich die Reise in den Nord-Osten Camdens, wo „The Third Estate“ eine riesige Auswahl veganer Schuhe (v.a. von Wills London), Fairtrade-gehandelter und ökologisch-produzierte Kleider sowie Gurte, Taschen und Portemonnaies (mehrheitlich von Matt & Nat) ohne tierliche Materialien anzubieten hat. Also deckte ich mich gleich mit neuen Boots und einem „Fake-Leder“gurt ein. Die nächsten Pelz-Demonstrationen kommen ja bald und dann ist es gut, wenn auch das Lederargument nicht mehr bei den aufgebrachten Passanten zieht.
Anyway, da wir im Vx also weder Kleidung noch Essen fanden, machten wir uns auf zum komplett veganen, japanischen Bio-Restaurant Itadakizen (das erste in ganz Europa!). Leider war auch diese Station vom Pech überschattet: Das Restaurant war gerade wegen Umbauarbeiten geschlossen.
Einen würdigen Ersatz fanden wir im roh-veganen Restaurant Vantra Vitao, welches direkt an der Oxford Street gelegen ist und ziemlich unscheinbar wirkt inmitten der grossen umliegenden Läden wie Primark und Co. Aus einem grossen Buffet konnte man sich seine Portion selber zusammenstellen. Das Konzept erinnerte etwas an das Tibits (welches ich natürlich auch sehr schätze und welches übrigens gerade seinen zweiten Ableger in London für kommenden Sommer plant), obwohl das Innendesign doch kaum so stylish daherkommt wie die Schweizer Vegi-Restaurantkette. Dafür muss man auch nicht so tief in die Tasche greifen: Für umgerechnet 10 Franken kriegt man eine richtig anständige Portion.
Bild 4: Zum Dessert gab’s einen roh-veganen Lemon-Cheesecake. Es sollte nicht der Letzte gewesen sein: Ein Tag später gönnten wir uns einen Strawberry-Cheesecake bevor wir zufälligerweise in einem Gay-Club landeten.
Nachdem ich noch kurz in The Whiskey Exchange vorbeischaute, wo ich mir einen Fairtrade-zertifizierten Kumquat-Likör sowie je einen lokal-produzierten Gin und Wodka in Bio-Qualität gönnte, ging der Spaziergang durch die grosse Metropole weiter. Beim Hyde-Park stiess ich per Zufall noch auf das Mahnmal für die in den Weltkriegen gefallenen Tieren. „They had no choice“ stand dort gross geschrieben. Ist heute nicht anders. Nur sterben die Tiere heute nicht mehr so häufig im Kontext eines globalen Krieges, sondern „lediglich“ für unsere Gaumenfreude, die Textil- oder die Kosmetikindustrie.
Abends ging es dann ins wunderbar eingerichtete Restaurant Farmacy in Notting Hill. Selten hatte ich in letzter Zeit so ein hübsches Lokal gesehen. Bis auf ein einziges vegetarisches Menü war ausserdem auch alles rein pflanzlich. Gäbe es mehr solche Restaurants in der Schweiz, dann würde die vegane Community sicherlich noch viel stärker wachsen, da bei solchen tollen Menü-Kreationen nun wirklich niemand mehr tierische Produkte vermissen kann. Womöglich sind wir aber in der Schweiz noch nicht bereit für solche mutigen und frischen Konzepte. Immerhin kann man die komplett veganen Restaurants in der Schweiz noch locker an zwei Händen abzählen.
Bild 5: Einen Blick auf die hübsche Bar inmitten des Restaurants.
Bild 6: Als Vorspeise gab es eine richtig schmackhafte Pizzetta mit Jungspinat und Macadamia-“Mozzarella“-Schaum.
Bild 7: Ich wählte als Hauptspeise die Middle Eastern Bowl mit gedämpftem Buchweizen, Babaganoush, Spirulina-Hummus (das seltsame Blaue ;-)), Süsskartoffel-Falafel, Tabouleh mit Sprossen und Za’taar Cracker (beim Dessert habe ich dann das Smartphone weggelegt, weil ich mir etwas seltsam vorkam beim Foodporn-Fotos Schiessen).
Einen weiteren Tag später hatte ich irgendwie schon fast gar kein Hungergefühl mehr, weil wir andauernd irgendwelche Locations abklapperten, um möglichst viele unterschiedliche vegane Leckereien zu naschen. Diese kulinarische Strategie bot sich vor allem in den Food Stalls an, welche es in London sehr häufig gibt. Im Camden Lock Place wollten wir uns eigentlich beim 100% veganen Stand „Club Mexicana“ einen BBQ Pulled Jackfruit Taco gönnen (Jackfruit ist neben der Spirulina-Alge sozusagen „the latest shit“ in der veganen Küche), fanden aber den Stand gar nicht erst inmitten der hunderten Ständen und verwinkelten Gässchen. Zum Glück begegneten wir weiteren vegan(freundlich)en Food Stalls wie „Hummus Lina“, „Magic Falafel“, „Nojo Crêpes“ oder das „Cookies & Scream“.
Bild 8: Das „Cookies & Scream“ wird im Internet als eines der besten veganen Locations für Brownies, Cookies und Co. gehandelt. Mit den süssen Leckereien von „Mrs. Cupcake“ in Brixton konnten sie jedoch nicht mithalten. Besonders der Walnut-Carrot-Cupcake war absolut göttlich (und das von einem bekennenden Atheisten).
Man sagt ja im Volksmund, man solle sich morgens wie ein Kaiser ernähren und dafür abends nur noch spärlich („wie ein Bettler“) was essen. Naja, zu Letzterem konnte ich mich nicht durchringen, aber immerhin genehmigte ich mir am nächsten Tag ein kaiserliches Frühstück. Vor dem Besuch in der Saatchi Gallery – ein bisschen Kultur gehört in jeden Städtetrip! – gab es im optisch durchaus ansprechenden, aber leicht sterilen Café „Raw Press“ ein roh-veganes Frühstück (nur Honig und Bienenpollen sind auf der Karte als nicht-vegan vermerkt).
Bild 9: Vor allem das Green Bircher und das Homemade Coconut Yoghurt überzeugten mit ihrer cremigen Konsistenz; der Matcha Latte war aber auch eine richtige Augenweide.
Nach einem etwas harmlosen Mittagessen an einem Essensstand im Pop Brixton – ein aus Containern bestehender Pop-Up-Food-Park im südlichen Brixton – wollten wir am Abend wieder etwas Spezielleres ausprobieren. Wir hatten jedoch etwas Bedenken, dass wir ohne Reservation etwas finden würden, da es gerade Karfreitag war und ich annahm, dass womöglich viele Familien als Kontrapunkt an Ostern ein Restaurant mit ausschliesslich pflanzenbasierter Küche aufsuchen würden. Und bei über drei Millionen Einwohnern allein in „Inner London“ könnten selbst die etwas über ein Dutzend rein veganen Restaurants knapp werden. Glücklicherweise konnten wir uns dennoch einen freien Tisch im Primerose Hill gelegenen Bio-Restaurant „Manna“ ergattern.
Bild 10: Neben dem richtig gesunden und herrlich frischen Warm Rainbow Panzanella überzeugte vor allem auch die Vorspeise (mit Basilikum-Cashew-Käse gefüllte Kroketten) und der Cheesecake des Tages, welches von einer selbstgemachten Vanille-Glace begleitet wurde, deren cremige Konsistenz schlicht unglaublich war.
Erinnert ihr euch noch an den englischen Bio-Wodka, den ich gekauft habe?
Nein?
Hab ich’s mir doch gedacht, dass ihr bloss die verfluchten Bilder anschaut, ohne den Text richtig zu lesen. Na toll… Es lebe die Instagram-Generation!
Wie dem auch sei: Der Wodka hat jetzt in diesem Blogbeitrag noch einen kleinen Spin-Off-Auftritt (ich habe ja im Interview mit Sebu betont, dass ich mir alle künstlerischen Freiheiten offen halten würde; aber womöglich habt ihr bereits dort einfach alles nur überflogen, ihr Kulturbanausen…).
Seinen grossen Auftritt hatte der Kartoffelschnaps in der Cocktail Bar „B.Y.O.C. Camden“. Da das Konzept der Bar äusserst innovativ ist, erzähle ich euch nun davon.
Was man für einen Abend im B.Y.O.C. braucht? Eine Flasche des bevorzugten Hochprozentigen, knapp zwei Stunden Zeit, eine vorgängige Reservation und 25 £ pro Person.
Gleich zu Beginn wird man an einen Tisch geführt, der einem Pokertisch sehr ähnlich sieht. Dort sitzt man maximal zu acht (wir waren lange Zeit nur zu viert) um einen kleinen Barbereich herum, wo sogleich ein persönlicher Barkeeper mit der mitgebrachten Spirituose und seinen zahlreichen Säften, Kräutern, selbstgemachten Sirupen und Gewürzen (wir haben natürlich darauf geachtet, dass nur vegane Ingredienzien verwendet wurden) unterschiedliche, ganz individuelle Cocktails zaubert.
Nach zwei Stunden hätte die private Bartender-Audienz eigentlich vorbei sein müssen; allerdings war für mich schon eine halbe Stunde vorher Feierabend, da mir der liebliche Spiritus doch bereits recht stark in den Kopf gestiegen war.
Bild 11: Cocktail Nr. 3/4: Wodka mit hausgemachtem Rosenblütensirup und getrocknetem Lavendel.
So, nachdem ich nun wieder etwas Street-Credibility gesammelt habe bei all denjenigen, die Veganismus nur mit Yoga, Abstinenz und Selbstkontrolle verbinden, geht’s jetzt doch nochmal weiter mit den veganen Erkundungen – und zwar im aufstrebenden Hipster-Viertel Shoreditch, wo man viele spannende, neue Cafés, Restaurants und Essensstände entdecken kann. Unter anderem wurde dort gerade das zweite „Veggie Pret“ eröffnet – ein rein vegetarischer und veganer Ableger der in London omnipräsenten Take-Away-Kette „Prêt à Manger“.
Bild 12: Prêt à Manger goes all veggie und steigert den Umsatz um 70% in den kommenden Wochen und Monaten. Da fragt man sich natürlich schon, wann Migros und Coop diesem Trend folgen werden…
Aus kulinarischer Sicht waren jedoch die beiden 100% veganen Foodstalls „Home“ und „Cookdaily“ im Pop-Up-Markt „Boxpark“ überzeugender. In beiden Buden gab es eine Art – ich weiss nicht, wie ich es anders beschreiben könnte – Contemporary Urban Street Cuisine. Gesunde und frische Gemüse-Bowls mit einen Schwerpunkt auf asiatischer Küche. Damit trifft man den Nerv der Zeit – und den Gaumen der Zeit ebenfalls.
Bild 13: Mein letzter Veganaut-Sticker (ca. 22/22!) wurde beim Essensstand „Cookdaily“ angebracht.
Bild 14: Einmal ein rotes Gemüsecurry mit Bananen und „veggie Chik“ und noch dunkler Reis und Quinoa mit Gartengemüse à la Provencale und Trüffelöl.
Natürlich gäbe es noch mehr schmackhafte Menüs, von welchen ich erzählen könnte, aber bei Veganaut geht es ja um’s Entdecken und das muss man in erster Linie selber tun.
London ist dafür der perfekte Ort, da es zahlreiche vegane Optionen über die ganze Stadt verstreut gibt (auf der Veganaut-Karte befinden sich aktuell über 100 unterschiedliche vegane oder besonders vegan-freundliche Restaurants und Cafés!). Egal, ob man sich nun eher flexitarisch, vegetarisch oder bereits mehrheitlich vegan ernährt: Es ist nie zu früh (oder zu spät), neue kulinarische Wege einzuschlagen.
In dem Sinne: Cheers!
PS: Der Titel ist übrigens ein Wortspiel respektive eine Variation des bekannten „God save the Queen“, wobei ich den Schöpfer kurzerhand mit dem englisch sehr ähnlich klingenden Wort für Dorsch (engl. „cod“) ersetzt habe. Da die Queen weniger vom Aussterben (also nicht vom Alterstod ;-)) bedroht ist als die zahlreichen Fischarten im Meer, musste ich logischerweise das Zitat noch umdrehen. Hoffen wir, dass die kulinarischen Entwicklungen im Mutterland der Queen auch uns als Vorbild dienen und wir die Fische (und alle nicht-menschlichen Lebewesen) noch stärker schützen werden.